[Ausstellung] Zwar gilt Florenz als Zentrum der Renaissance-Kunst, doch verbreitete sich der damit verbundene Stil auch weit über die Grenzen Italiens hinaus. Im Spanien entwickelte sich im 16. Jhd. eine ganz eigene Strömung, geprägt von den nachwirkenden Einflüssen der islamischen Kultur und neuen künstlerischen Trends aus anderen Ländern. Das Museo de Bellas Artes de Sevilla wirft in seiner Sonderausstellung „Arte del Renacimiento en Sevilla“ nun einen Blick auf die Besonderheiten der Renaissance-Kunst in Andalusien. Im Zentrum steht dabei Sevilla, das im 16. Jhd. einen außergewöhnlichen wirtschaftlichen Aufschwung erlebte, dank des florierenden Handels mit Amerika und dem übrigen Europa, was eine umfangreiche Förderung der Künste ermöglichte.
Künstlerische Blütezeit
Die Zeit der Renaissance kann in Sevilla wohl als glanzvollste Periode der Stadt bezeichnet werden. Die Gründung der Casa de la Contratación im Jahr 1503, ihr Monopol auf der Carrera de Indias und der damit verbundene Anstieg der internationalen Handelsaktivitäten, bescherte den Bürgern der Stadt erheblichen Reichtum. Die Nachfrage nach und der Handel mit Kunstwerken stieg, was auch vermehrt Künstler aus dem Ausland anzog. Viele von ihnen ließen sich dauerhaft in Sevilla nieder und hinterließen ihre Spuren in der lokalen Kunstszene. Künstlerische Einflüsse aus Flandern und Italien vereinten sich mit der andalusischen Kunsttradition; das Ergebnis waren oft innovative Werke von hoher technischer Qualität.
Die aktuelle Sonderausstellung im Museo de Bellas Artes de Sevilla wirft zunächst einen Blick auf die Einflüsse der italienischen Renaissance. Zu sehen sind Werke von Künstlern aus Spanien, Frankreich und Italien, die in unterschiedlichen Techniken und Formaten stets den ästhetischen Prinzipien der italienischen Renaissance folgten. Insbesondere die Auseinandersetzung mit Künstlern wie Pietro Torrigiano und Niculoso Francisco Pisano prägte die Orientierung der in Sevilla tätigen Künstler an klassischen Vorbildern der Antike und die Suche nach einer auf formalen Regeln basierenden Schönheit, die heute als Renaissance-Prinzipien gelten. Dabei ermöglichte die frühe Ankunft italienischer Renaissance-Werke in Sevilla und die Verbreitung von Kupferstichen und architektonischen Abhandlungen zum einen die Einbeziehung klassischer Elemente in die künstlerischen Kompositionen und zum anderen auch die Entstehung eines neues Konzepts des menschlichen Körpers bei den in der Stadt tätigen Künstlern.
Sevilla als Schmelztiegel der Künste
Im zweiten Abschnitt widmet sich die Ausstellung den Einflüssen, die Künstler wie Pedro de Campaña oder Hernando de Esturmio mit sich brachten. Sie kamen, zusammen mit anderen Künstlern aus nordeuropäischen Gebieten, anlässlich des Baus der Kathedrale nach Sevilla. Trotz einer italienischen Ausbildung, folgten sie in ihren Gemälden einem gewissen Naturalismus, der von der flämischen Malerei des 15. Jhd. inspiriert war.
Im 16. Jhd. entwickelte sich Sevilla immer mehr zu einer Stadt, die Künstler unterschiedlicher Herkunft willkommen hieß. Die politische Vormachtstellung der spanischen Krone und die rege Handelstätigkeit begünstigten zudem den Import von Kunstwerken aus Nordeuropa, welche ebenfalls einen großen Einfluss auf die einheimischen Maler und Bildhauer, aber auch auf Disziplinen wie die Goldschmiedekunst ausübten. Neben den künstlerischen Einflüssen aus dem Ausland blieben dabei in Sevilla übrigens auch lokale mittelalterliche Traditionen weiterhin erhalten. Die Techniken der Fliesenherstellung wurden beibehalten und perfektioniert, wobei auch hier Einflüsse aus Italien oder gotische Ornamentmotive übernommen wurden.
Nachdem der Bau der Kathedrale vollendet war, sorgten Stiftungen von wohlhabenden Kaufleuten und Adligen dafür, das die Kunstproduktion in Sevilla weiter florierte, indem weiter Altarbilder, Gemälden und Skulpturen in Auftrag gebeten wurden. Als zentralen Mäzen wirft die Ausstellung hier einen Blick auf den Dichter Juan de Arguijo. Er war Begründer der sevillanische Dichterschule, einer Gruppe von Schriftstellern und Intellektuellen, welche ihr Interesse an griechischer und römischer Mythologie vereinte.
Der florierende Handel mit Amerika förderte das Familienvermögen von Arguijo und ermöglichte es ihm, verschiedene künstlerische Mäzenatentätigkeiten auszuüben und gleichzeitig sein Haus als Ausdruck seiner gesellschaftlichen Stellung zu gestalten. Für die Haupthalle seines Anwesens entwarf er eine Deckendekoration, die in der Ausstellung zu sehen ist. Als Ort, der dem Wissen und der künstlerischen Fruchtbarkeit gewidmet sein sollte, sind hier Motive aus Ovids Erzählung der Metamorphosen dargestellt, zusammen mit dem Wappen der Familie Arguijo und der Aufschrift „GENIO ET MVSIS DICATVM“ (Dem Genie und den Musen gewidmet). Die einzelnen Bilder der Deckendekoration wurden erst vor einigen Monaten restauriert und sind in der Ausstellung zum ersten Mal in ihrer ursprünglichen Anordnung an einer Decke zu sehen.
Werke aus dem Prado und aus der Kathedrale von Sevilla
Die Ausstellung „Arte del Renacimiento en Sevilla“ betrachtet das künstlerische Schaffen zur Zeit der Renaissance in all seinen Erscheinungsformen, von Malerei über Bildhauerei, Goldschmiedekunst und Keramik bis hin zu Miniaturmalerei. Anhand von 34 Werken beleuchtet das Museum, wie die Kunst der Renaissance im Laufe des 16. Jhd. in der Hauptstadt Andalusiens Gestalt annahm. Die gezeigten Werke stammen hauptsächlich aus kirchlichen Einrichtungen in Sevilla und den umliegenden Provinzen sowie aus der Kathedrale von Burgos und aus der Sammlung des Museo de Bellas Artes selbst.
Zu den wichtigsten Werken in der Ausstellung zählen das bisher wenig bekannte Pfingstbild von Pedro de Campaña sowie „Der Weg zum Kalvarienberg“ des italienischen Künstlers Scipione Pulzone als Neuzugang der Sammlung des Museo de Bellas Artes de Sevilla. Weitere Highlights sind der Triptychon von Jan Sanders van Hemessen aus der Pfarrkirche San Vicente und das Gemälde „Die Geißelung Christi“ von Alejo Fernández aus der Sammlung des Museo Nacional del Prado. Ein besonderes Ausstellungsstück ist zudem die Terrakotta-Skulptur der Virgen del Reposo des Franzosen Miguel Perrin. Die Skulptur der Jungfrau wurde für die Ausstellung restauriert und kann hier aus nächster Nähe betrachtet werden, bevor sie wieder an ihren Standort über dem Hauptaltar in der Kathedrale von Sevilla zurückkehren wird.
Arte del Renacimiento en Sevilla
Museo de Bellas Artes de Sevilla
01.12.2022-12.03.2023
Header-Bild: Angelika Schoder – Museo de Bellas Artes de Sevilla, 2022
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Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.
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