Tom Sachs: Trainieren für die Space Mission

Für die Ausstellung „Space Program: Rare Earths“ von Tom Sachs verwandelt sich die Halle für aktuelle Kunst der Deichtorhallen Hamburg in eine interplanetare Landschaft.

Für die Ausstellung "Space Program: Rare Earths" von Tom Sachs verwandeln sich die Deichtorhallen Hamburg in eine interplanetare Landschaft.

[Ausstellung] Zusammen mit seinem Team hat der amerikanische Bricolage-Künstler Tom Sachs ein skulpturales Gesamtkunstwerk mitten in Hamburg geschaffen. Für die Ausstellung „Rare Earths“ wird die Halle für aktuelle Kunst der Deichtorhallen zum Trainingsareal für angehende Weltraumreisende. In der vierten Ausstellung in Tom Sachs‘ Reihe „Space Program“, welche extraterrestrische Welten und die Grenzen menschlicher Möglichkeiten künstlerisch erkundet, geht es um eine Reise zum Asteroiden 4-Vesta. Hier sollen sogenannte Seltene Erden abgebaut werden, um den immer weiter wachsenden Bedarf an Technologie auf der Erde decken zu können. Alles was für die Weltraummission benötigt wird, wurde aus verschiedenen Utensilien zu skurrilen Skulpturen zusammengebaut. Das Einzige, was noch fehlt, ist eine Besatzung für die Space Mission. Um ausgewählt zu werden, müssen Ausstellungsbesucher dafür eine Astronauten-Ausbildung durchlaufen.


„Wir sind alle telepathisch durch unsere Mobilgeräte miteinander verbunden. Diese Geräte funktionieren mithilfe von Elementen der Seltenen Erden. Wir produzieren mehr Telefone, als die Ressourcen des Planeten Erde liefern können. 4-Vesta mit seinem differenzierten Kern bietet einzigartige Möglichkeiten für den Abbau von Edelmetallen: Gold, Platin und Palladium – Rohstoffe, die wir zur Befriedigung unserer Bedürfnisse benötigen.“

Tom Sachs im Begleitheft zur Ausstellung in den Hamburger Deichtorhallen

Space-Indoktrination

Wer Teil des Weltraum-Teams des (mittlerweile umstrittenen) Mixed-Media-Künstlers Tom Sachs (*1966) werden möchte, muss sich einem Indoktrinationsprozess unterziehen, in dem bestimmte Fragen beantwortet und gestellte Aufgaben erledigt werden müssen. Nach erfolgreicher Absolvierung werden Besucher zu einem Teil des Space-Teams, erhalten eine ID und das Recht, an allen Bereichen der Installation teilzuhaben. Immerhin: Der Großteil der Ausstellung lässt sich auch besuchen, wenn man keine Astronauten-Ausbildung durchläuft. Allerdings erhält man tatsächlich nur Zutritt zu einigen Installationen, wenn man eine ID vorweisen kann.

In der Ausstellung können ikonische Elemente vergangener Weltraummissionen entdeckt werden. „Indoktrinierte“ Besucher werden darüber hinaus dazu ermutigt, sich auch dem Ritual der „Transsubstantiation“ (lat. Wesensverwandlung) zu unterziehen. Diese Installation wird in den Deichtorhallen erstmals gezeigt. Es ist ein „Laboratorium des Alchemisten“, das von den Türmen der Kathedrale von Chartres bekrönt wird. Hier treffen Religion und Wissenschaft aufeinander – für Tom Sachs haben beide mit der selben Fragestellung zu kämpfen: während die Religion das Glaubensbekenntnis im Angesicht des Zweifels fordert, beharrt die Wissenschaft darauf, entgegen eigener Skepsis Beweise zu finden. Die Aufgabe: Gib dein Smartphone ab und lass es zerstören!


Bricolage und Konsumkritik

Mit seiner Ausstellung „Rare Earths“ hinterfragt Tom Sachs das heutige exzessive Kaufverhalten und die kurze Lebensdauer der Dinge, insbesondere der Technologie, die wir anhäufen. Gerade die Seltenen Erden sind es, die als Ressource auf unserem Planeten ausgebeutet werden, um immer mehr technische Geräte herzustellen. Ob Smartphones, Laptops, Spielkonsolen, Staubsaugerroboter oder E-Bikes – immer weiter wächst die Gier nach Technologie und damit auch der Bedarf an Seltenen Erden. Und wenn wir unseren Planeten ausgebeutet haben – dann müssen wir eben zum Asteroiden 4-Vesta aufbrechen, um hier Seltene Erden abzubauen.

Mit seinen Bricolage-Installationen legt Tom Sachs seinen Fokus auf das Handgemachte. Die Konstruktion und Herstellung von Gegenständen verdeutlicht damit Aspekte moderner Kreativität innerhalb der künstlerischen Produktion. Gleichzeitig sind die Skulpturen auch als Kritik am modernen Konsumverhalten zu verstehen, denn teils bestehen sie aus Produkten bekannter Marken, die als Ikonen des Kapitalismus gelten können. Alle vier bisherigen Weltraummissionen von Tom Sachs – die zum Mond in der Gagosian Gallery (2007), die zum Mars in der Park Avenue Armory (2012), die zum Jupitermond Europa im Yerba Buena Center for the Arts (2016) und nun zu 4-Vesta in den Hamburger Deichtorhallen – sind durch diese Bricolage-Technik geprägt.


Einladung zum Astronautentraining

Die Erkundung des Space Program startet in einem „Welcome Center“ im Foyer der Halle für aktuelle Kunst der Deichtorhallen. Hier trifft man zunächst auf Raumanzüge, welche man für die Exkursion zum Asteroiden 4-Vesta natürlich benötigt. Ein Raumanzug funktioniert wie ein eigenständiges Raumschiff, er ist quasi die Dienstkleidung, wenn man sich auf die „Rare Earths“ Mission begibt. Neben den Raumanzügen befindet sich die „Mobile Quarantine Facility“. Die Quarantäneeinrichtung ermöglicht die Hin- und Rückreise zwischen Erde und 4-Vesta, ohne fremde Mikroben in die jeweils andere Atmosphäre zu übertragen. Während einer Quarantäne findet man als Astronaut hier Umkleide-, Kommunikations- und Unterhaltungsmöglichkeiten.

Nach dem „Welcome Center“ folgt die „Indoctrination“. Laut Tom Sachs ist diese Station der Ausstellung nur für die „tief Gläubigen“ vorgesehen, man kann als Besucher das Astronautentraining hier also auch überspringen. Wer aber ein Teil der Space Mission nach 4-Vesta werden will, muss die Indoktrinierung erfolgreich durchlaufen und dafür eine Reihe von Aufgaben absolvieren. Als Beleg erhält man eine ID, die einem in der weiteren Ausstellung Zutritt zu exklusiven Bereichen ermöglicht.

Im folgenden Ausstellungsabschnitt besteht für die Inhabern einer ID die Möglichkeit, einen Termin in der Installation „The Infinite and Beyond“ zu vereinbaren. Hier kann in einem MRT-ähnlichen Gerät die eigene Aura gescannt und analysiert werden. Versprochen wird ein Zustand höchster Transzendenz, in dem sich der Geist vom Körper löst. „Indoktrinierte“ Besucher können sich hier zudem der „Transubstantiation“ unterziehen, einer Wesensverwandlung. Wer sich auf die Mission zu 4-Vesta begeben will, muss sich hier von seinem Smartphone trennen – denn es bestimmt unseren Alltag und macht emotional abhängig. Der Weg führt über 5 Schritte:

1) man übergibt sein Telefon,

2) Akku und Motor werden entfernt,

3) der Speicher wird mit milden Säuren von Gold befreit, die verbleibende Schlacke wird pulverisiert,

4) das aus 5.000 Mobiltelefonen gewonnene Gold wird zu einem Götzenbild gegossen,

5) die verbleibenden Materialien des Telefons werden mit schwarzer Farbe gemischt und ergeben ein „Fanta Black“ – eine Anspielung auf die Farbe Vantablack, die als das schwärzeste Schwarz der Welt gilt.


Die Mission zu 4-Vesta

Ebenfalls nur für ID-Inhaber ist das „Vehicle Assembly Building“ zugänglich, das Raumschiffmontagegebäude. Es dient als Pforte in andere Welten und als letzte Ruhestätte des „Golden Idol“ – ein kleiner Star Wars Yoda. Zentral in der Halle für aktuelle Kunst ist daneben das „Landing Excursion Module“ (LEM) platziert. Die Landefähre ist dazu konzipiert, zwei Mitglieder der Space Mission in eine andere Welt und wieder zurück zu transportieren. Flankiert wird das LEM vom „Tea Garden“, in dem eine Teezeremonie vollzogen werden kann – laut Tom Sachs „die höchste kulturelle Erfahrung, die die Erde zu bieten hat“. Diese Erfahrung muss dringend die Menschheit auf ihrem Weg in neue Welten begleiten.

Damit die Reise nach 4-Vesta gesteuert werden kann, befindet sich in diesem Ausstellungsabschnitt auch das „Mission Control Center“, das Raumfahrtkontrollzentrum. Daneben wird in der „Dig Site“ deutlich, worum es bei der Space Mission geht: die Bergung Seltener Erden. In der Ausgrabungsstätte sind alle notwendigen Instrumente versammelt, mit denen man unter die Gesteinsoberfläche des Asteroiden 4-Vesta vordringen kann. Ergänzt wird die Installation durch einen „Rover“, ein Weltraumfahrzeug, mit dem man sich als Astronaut auf dem fremden Himmelskörper fortbewegen kann.

Den zentralen Fixpunkt in der Halle für aktuelle Kunst der Deichtorhallen bildet das „World Trade Center“. Die zwei Türme, die 2001 durch einen Terroranschlag zerstört wurden, stehen als ultimatives Symbol für den Kapitalismus und zeigen für Tom Sachs zugleich auch dessen Vermessenheit. Der Künstler versteht die Skulptur als „Meditation über die Widersprüchlichkeit der Ideologien“. Das „World Trade Center“ steht hier als Verkörperung von Reichtum und Macht – das System, das die Mission nach Seltenen Erden antreibt.

Innerhalb der Installation befindet sich in einem abgetrennten Raum eine eigene kleine Ausstellung, das „Museum of the Moon“. Das Mondmuseum beinhaltet Relikte aus früheren Weltraummissionen, genauer gesagt aus den Vorgängerausstellungen in der „Space Program“ Reihe von Tom Sachs. Diese führten zum Mond, zum Mars und zum Jupitermond Europa. Das Mondmuseum befindet sich zwischen der „Anechoic Chamber“ und dem „Re-Education Center“. Während ID-Inhaber im ersten Raum eine „Express-Erleuchtung“ erfahren, indem Tom Sachs sie in einem Video persönlich auf die Reise ins All schickt, werden im zweiten Raum Schulungsvideos gezeigt, die wichtige Kenntnisse zur Space Mission vermitteln. Am Ende ist man bestens für die Reise zum Asteroiden 4-Vesta vorbereitet – und braucht im Zweifelsfall ein neues Smartphone.


Tom Sachs. Space Program: Rare Earths

Deichtorhallen Hamburg, Halle für aktuelle Kunst
19.09.2021-10.04.2022


Bilder: Angelika Schoder – Tom Sachs. Space Program: Rare Earths, Deichtorhallen Hamburg, 2021


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Angelika Schoder

Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.

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