[Reisetipp] „Skulpturale Interventionen“ nennt der in Berlin lebende Künstler Olafur Eliasson seine beiden Skulpturen mit dem Titel „Gesellschaftsspiegel“, die seit Anfang Oktober 2020 am Alten Wall in Hamburg installiert sind. Bereits von weitem sind die mit anthrazit-braunem Messing ummantelten Werke neben der Hamburger Handelskammer und neben dem Hamburger Rathaus erkennbar. Ein bisschen wie Raumschiffe auf Stelzen wirken die 8,5 Meter hohen, Monolith-haften Skulpturen, die sich aus der Nähe als Pavillons entpuppen, in die man sich hinein begeben kann.
Ein neuer Blick auf den Öffentlichen Raum
Mit seinen beiden Skulpturen „Gesellschaftsspiegel“ schafft Olafur Eliasson (*1967) einen fast intimen Raum, der eine neue Perspektive auf den Öffentlichen Raum ermöglicht. Während die Pavillons von außen wie eine massive Skulptur wirken, verändert sich der Eintruck, sobald man sich unter diese stellt. Von innen erscheinen die „Gesellschaftsspiegel“ deutlich größer als von außen. Zahllose dreieckige Spiegel formen sich zu einem Prisma, in dem sich die Umgebung abbildet wie in einem Kaleidoskop – die Menschen, die unter der Skulptur stehen, ebenso wie der Himmel und die umliegenden Gebäude.
Die Idee hinter den Skulpturen ist es, einen Raum inmitten des hektischen Treibens der Hamburger Innenstadt zu bieten, in dem Menschen innehalten können. Der Blick nach oben in das Kaleidoskop eröffnet damit auch die Möglichkeit, kurz durchzuatmen.
„Diese beiden Pavillons bieten einen kontemplativen Moment, wenn man sich die Zeit nimmt, der geschäftigen Umgebung zu entfliehen und in den Himmel zu schauen. Der Blick nach oben verpflichtet zum Innehalten – um nicht zu stolpern. Das Innehalten, das Verlangsamen, das Durchatmen ist ein Zwischenspiel in der horizontalen Perspektive, die das zeitgenössische Konsumumfeld der Stadt beherrscht.“
Olafur Eliasson über „Gesellschaftsspiegel“
Innehalten und Reflexion
Als Vorbilder für seine „Gesellschaftsspiegel“ nennt Olafur Eliasson traditionelle japanische Gärten, in denen im Zickzack verlaufende Brücken die Menschen dazu verleiten, ihren Schritt zu verlangsamen und auf jeden Schritt bewusst zu achten. So ergibt sich eine neue Perspektive, bevor man wieder nach oben blickt. Ebenso sollen die „Gesellschaftsspiegel“ auf ihre eigene Art eine neue Möglichkeit für Menschen bieten, die Umgebung neu zu betrachten.
Die Skulpturen sind, wie der Name schon sagt, auch ein Spiegel der Gesellschaft – und ein Ort der Begegnung mit anderen Menschen. Man kommt unter den Installationen mit anderen Menschen in Kontakt, mit Leuten aus Hamburg, mit Besuchern und Touristen. Es ergeben sich Gespräche über die Kunst, aber man tauscht sich tatsächlich auch darüber aus, wer wie am besten wohin treten muss, damit man sich nicht gegenseitig beim Fotografieren im Weg steht. Denn eines haben die Hamburger Skulpturen von Olafur Eliasson mit seinen anderen Arbeiten gemeinsam: sie sind sehr „instagrammig“, ein attraktives Fotomotiv und dank der spiegelnden Oberfläche natürlich auch eine einladende Selfie-Gelegenheit.
„Wenn man in das kaleidoskopische Innenre des ‚Gesellschaftsspiegels‘ blickt, nimmt man eine zusammengesetzte Perspektive unserer vielfältigen Gesellschaft wahr. Die Skulptur ist, wie der Titel schon besagt, ein Spiegel der Gesellschaft. Dieser bietet unendliche Perspektiven, eine pluralistische Sicht auf eine Gesellschaft, die nicht als hierarchisch und singulär, sondern als vielgestaltig zu verstehen ist.“
Olafur Eliasson über „Gesellschaftsspiegel“
Der Öffentliche Raum als Ort gesellschaftlicher Debatten
Seit der #BlackLivesMatter-Bewegung wird verstärkt über Denkmale im Öffentlichen Raum diskutiert. Welche Themen, Personen und Konzepte werden auf Plätzen und in Straßen in Form von Skulpturen, Bauwerken oder Standbildern dargestellt? Es wird verstärkt hinterfragt, welche Aspekt der Geschichte, aber auch welche sozialen Werte im Öffentlichen Raum hervorgehoben werden. Für Olafur Eliasson verkörpern Denkmale, wie etwa Reiterstandbilder, Triumphbögen oder Obelisken, die hierarchischen Machtstrukturen innerhalb der Gesellschaft, in der diese errichtet wurden. An prominenter Stelle positioniert, ob auf einem zentralen Platz oder in der Sichtachse einer Straße, stehen sie immer auch für die visuelle Perspektive eines einzigen Blickwinkels.
Für Eliasson ist die Wahrnehmung des Raumes aber immer davon abhängig, welche Perspektive eingenommen wird. Ebenso wie es auf die Geschichte einer Gesellschaft nicht nur einen Blickwinkel geben kann, gibt es auch im Hinblick auf die Wahrnehmung des Raumes für den Künstler immer eine Vielfalt an Perspektiven.
„Nur wenn wir räumliche und perspektivische Regimes in Frage stellen und neu überdenken, können wir die Werte der Vergangenheit überdenken und in einigen Fällen sogar umstürzen und neue Ideen formulieren, die die Gesellschaft widerspiegeln, in der wir heute leben: Was ist öffentlicher Raum? Was ist öffentlich, was ist Gemeingut? Wie können wir einen sicheren Raum schaffen, der unterschiedliche Ansichten, Wünsche und Träume aufnehmen kann?“
Olafur Eliasson über „Gesellschaftsspiegel“
Olafur Eliasson: Gesellschaftsspiegel
Alter Wall | 20457 Hamburg
Bilder: Angelika Schoder – „Gesellschaftsspiegel“ von Olafur Eliasson, Hamburg 2020
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Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.
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