[Pressereise] Ob die Tate in London, das Metropolitan Museum of Art in New York oder auch das Centre Pompidou in Frankreich: All diese Kunstmuseen haben mehr als einen Standort. Die Alberina in Wien tut es diesen Institutionen von Weltrang nun gleich und eröffnete jetzt eine neue Dependance: die Albertina Modern. Es ist kein bescheidener kleiner Standort und es geht auch nicht nur um ein bisschen mehr Ausstellungsfläche. Mit über 60.000 Werken von rund 5.000 Kunstschaffenden zählt die Albertina Modern nun mit zu den größten Häuser für Gegenwartskunst in ganz Österreich. Die erste Ausstellung des neuen Museums trägt bezeichnenderweise den Titel „The Beginning“ – ein Blick auf die österreichische Kunst der Nachkriegsjahrzehnte.
Ein Neuanfang in der Kunst
Die erste Sonderausstellung der Albertina Modern trägt den naheliegenden Titel „The Beginning“. Es ist nicht nur der Beginn eines neuen Kapitels des Wiener Künstlerhauses. Inhaltlich geht es um den künstlerischen Neuanfang der Kunst in Wien von 1945 bis 1980, eine Epochenübersicht über die österreichische Kunst in den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg. Vertreten sind in der Ausstellung wichtige künstlerische Positionen an der Schwelle zur Postmoderne. Hierzu zählen Werke des Wiener Phantastischen Realismus, des Wiener Aktionismus, der kinetischen und konkreten Kunst sowie österreichische Vertreter der Pop-Art, des kritischen Realismus und der feministischen Avantgarde.
Spannend ist, dass die in der Ausstellung „The Beginning“ gezeigten Kunstakteure bis in die 1970er hinein in Österreich als „entartet“ bezeichnet wurden. Häufig wurden sie vernachlässigt oder sogar kriminalisiert – auch im Wiener Künstlerhaus, in dem heute die Albertina Modern ansässig ist. Das Haus war seit den frühen 1930er Jahren (und noch über Jahrzehnte später) von den Ideen des Nationalsozialismus geprägt und verfolgte die Vorstellung eines reaktionären Kunstbegriffs.
Klaus Albrecht Schröder, Generaldirektor der Albertina und Leiter des Kuratoren-Teams der aktuellen Ausstellung, versteht „The Beginning“ daher als Versuch eines Exorzismus dieses vom NS geprägten Geistes. So soll die Ausstellung dem Künstlerhaus eine neue Identität verleihen: Wo einst die Schau „Entartete Kunst“ unter Künstlerhaus-Präsident Rudolf Hermann Eisenmenger (1902-1994) im Jahr 1939 gezeigt wurde, wird heute die Avantgarde in Österreich in der Nachkriegsära gewürdigt und gefeiert.
Kunst in Österreich von 1945 bis 1980
Die Avantgarde der „Stunde Null“ nach dem Zweiten Weltkrieg existiert in Österreich eigentlich nur im Plural – das macht die Ausstellung „The Beginning“ deutlich. Sie zeigt die unterschiedlichen nationalen Kunstströmungen, die sich teils parallel zueinander entwickelten und nicht unbedingt aufeinander aufbauten. In ihrer Diversität haben alle hier gezeigten Kunstakteure aber eines gemeinsam: es herrscht ein politischer Konsens des Antifaschismus. Das zentrale Thema der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und mit den Verbrechen des Holocaust zieht sich wie ein roter Faden durch die Ausstellung, sei es bei Gottfried Helnwein (*1948), Bruno Gironcoli (1936-2010) oder Valie Export (*1940).
Die Ausstellung „The Beginning“ will die „Definition eines Kanons der österreichischen Kunst der Nachkriegsjahrzehnte“ liefern, wie es seitens der Ausstellungsmacher heißt. Vertreten sind rund 70 Kunstakteure, wobei auffällt – und das ist auch heute noch nicht selbstverständlich – dass zahlreiche Künstlerinnen präsent sind. Es ist nicht nur die bereits erwähnte Aktionskünstlerin Valie Export, der im Untergeschoss des Künstlerhauses ein ganzer Raum gewidmet ist. Und es erschöpft sich auch nicht mit Maria Lassnig (1919-2014), eine der wichtigsten österreichischen Künstlerinnen der Moderne. Zu sehen sind auch Werke von Florentina Pakosta (*1933), Karin Mack (*1940), Linda Christanell (*1939) und von einigen weitere Künstlerinnen, die fast den gesamten zweiten Teil der Ausstellung einnehmen.
Erklärtes Ziel der ersten Ausstellung in der Albertina Modern ist es, dazu beizutragen, dass bisher unterschätzte Kunstakteure neu bewertet werden. Dies ist dem Kuratoren-Team tatsächlich gelungen.
Die Sammlung Essl
Inhaltlicher Ausgangspunkt für die Albertina Modern ist die über 6.000 Werke umfassende Sammlung Essl. Die von dem österreichischen Unternehmer Karlheinz Essl sen. (*1939) und seiner Frau Agnes angelegte Sammlung mit Werken der zeitgenössischen Kunst gilt als eine der größten Privatsammlungen Europas. Von 1999 bis 2016 wurde die Sammlung, die ihren Schwerpunkt in der österreichischen Kunst nach 1945 hat, zunächst in einem eigens eröffneten Museum in Klosterneuburg bei Wien gezeigt. Anfang 2014 bot Karlheinz Essl sen. die Sammlung aus wirtschaftlichen Gründen der Republik Österreich zum Kauf an. [2] Letztendlich übernahm der Industrielle Hans Peter Haselsteiner größtenteils die Sammlung; das Ehepaar Essl behielt die künstlerische Leitung. [3] Die Sammlung der Werke österreichischer Künstschaffender konnte so erhalten werden, lediglich eine kleine Anzahl an Objekten wurde verkauft.
Im Februar 2017 gaben der österreichische Kulturminister Thomas Drozda, Sammler Karlheinz Essl sen. und der Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder bekannt, dass die Sammlung Essl der Albertina in Wien übergeben wird, zunächst als Dauerleihgabe. [4] Im Jahr 2019 wurde der Entschluss gefasst, die Sammlung zu teilen: Die Familie Essl schenkte der Albertina ihren Teil, während Hans Peter Haselsteiner seinen Teil dem Museum weiterhin als langfristige Dauerleihgabe zur Verfügung stellt.
Einen Schwerpunkt der Albertina Modern bilden die Sammlungen zur österreichischen Kunst mit Akteuren wie Arnulf Rainer, Maria Lassnig, Franz West, Erwin Wurm oder Valie Export. Die internationalen Sammlungen umfassen u.a. Werkblöcke von deutschen Künstlern wie Georg Baselitz, Anselm Kiefer, Markus Lüpertz und Jörg Immendorff. Zudem zählen Werkgruppen von Andy Warhol, Alex Katz, Roni Horn, Robert Longo oder Cindy Sherman zur Sammlung der Albertina Modern. Diese Werke gehören zum Teil zur Sammlung des deutschen Kunsthändlers und Galeristen Rafael Jablonka, welche die Albertina im Juli 2019 übernommen hatte.
Ein neues Haus für moderne Kunst
Standort der Albertina Modern ist das Künstlerhaus am Wiener Karlsplatz. Das Gebäude im Stadtzentrum Wiens wurde zwischen 1865 und 1868 nach Plänen des Architekten August Weber (1836–1903) errichtet. Als Vorbild galt der Stil einer italienischen Renaissancevilla nach Jacopo Sansovino. Der Kaiser von Österreich, Franz Joseph I. (1830-1916), setzte persönlich den Schlussstein des Gebäudes.
Seit seiner Eröffnung diente das Künstlerhaus als Ausstellungshaus für Malerei, Bildhauerei, Architektur und angewandte Kunst. Im Jahr 1883 war hier etwa die „Internationale Special-Ausstellung der graphischen Künste Wien“ zu sehen. In den letzten Jahrzehnten hatte das nahegelegene Wien-Museum das Künstlerhaus für Sonderausstellungen genutzt, etwa im Jahr 1985 für die Ausstellung „Traum und Wirklichkeit. Wien 1870–1930“, die bis heute den Wiener Rekord mit über 622.000 Besuchern hält. Auch das Kunsthistorische Museum Wien war in den letzten Jahren mit Ausstellungen zu Gast im Gebäude.
Um 2011 wurde der stark renovierungsbedürftige Zustand des Künstlerhauses zum öffentlichen Thema. Nach längerer Diskussion um die Übernahme der Kosten wurde schließlich im November 2015 auf einer außerordentlichen Hauptversammlung der Gesellschaft bildender Künstler Österreichs die Gründung einer neuen Betreibergesellschaft beschlossen, bei der die Stiftung von Hans Peter Haselsteiner 74 % und das Künstlerhaus eine Sperrminorität von 26 % hielt. Im Gegenzug für die Übernahme der Renovierungskosten sowie der jährlichen Erhaltungskosten wurde u.a. vereinbart, dass Haselsteiners Stiftung gemeinsam mit der Albertina das Unter- und Erdgeschoss des Gebäudes als Ausstellungsfläche nutzen würde. [1] Im Obergeschoss ist weiterhin der Verein Künstlerhaus – Gesellschaft bildender Künstlerinnen und Künstler Österreichs präsent.
In den letzten Jahren wurde der historistische Prestigebau nun an der Fassade sowie im Innenbereich originalgetreu restauriert. Hierzu zählt die Wiederherstellung der historischen Wandbemalungen und Dekorationen, ebenso wie der ursprünglichen Terrazzoböden. Besonders wichtig war zudem der barrierefreie Umbau der Ausstellungsräume.
Mit der Albertina Modern bekommt Wien nun ein neues Ausstellungshaus für Moderne Kunst, das man im Auge behalten sollte.
Der Begleitband zur Ausstellung „The Beginning. Kunst in Österreich 1945 bis 1980“, herausgegeben von Klaus Albrecht Schröder für die Albertina Modern, ist 2020 erschienen (ISBN: 978-3-7774-3509-1). Der Band enthält, neben zahlreichen Werk-Abbildungen und einer umfangreichen Chronologie von 1940 bis 1980, Texte von u.a. Brigitte Borchhardt-Birbaumer, Elisabeth Dutz, Berthold Ecker, Robert Fleck, Antonia Hoerschelmann, Verena Krieger, Konrad Paul Liessmann, Thomas Mießgang und Angela Stief.
The Beginning. Kunst in Österreich 1945 bis 1980
27.05.-08.11.2020
Albertina Modern
musermeku dankt der Albertina für die Einladung zum Besuch des Museums und für die Übernahme der Kosten der Reise.
Fotos: Angelika Schoder – Albertina Modern, Wien 2020
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Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.
Fußnoten
[1] Dazu: Olga Kronsteiner: Künstlerhaus: Zweidrittelmehrheit für Haselsteiner, In: Der Standard, 17. November 2015
[2] Essl will Kunst an Republik verkaufen, In: ORF, Niederösterreich, 24.03.2014
[3] Sammlung Essl: Haselsteiner kauft Kunstsammlung über Stiftung, In: vienna.at, 02.09.2014
[4] Sammlung Essl geht an die Albertina, In: Die Presse, 16.02.2017
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