[Rezension] „Enjoy the Silence“ von Depeche Mode, „Heart-Shaped Box“ von Nirvana oder „Hero Of The Day“ von Metallica – in den 1990er war es fast unmöglich MTV einzuschalten, ohne ein Musikvideo von Anton Corbijn zu sehen. Auch ein Blick in jede gut sortierte Plattensammlung zeigt, wie eng die Arbeit des niederländischen Fotografen mit der Musikgeschichte verbunden ist. Von ihm stammen Cover für Alben von Nick Cave, R.E.M., Bon Jovi, Morrissey, Foo Fighters und immer wieder U2 und Depeche Mode. Doch das fotografische Werk von Anton Corbijn umfasst mehr als die Zusammenarbeit mit Musikern. Das zeigt die aktuelle Ausstellung „Anton Corbijn. The Living and the Dead“ im Bucerius Kunst Forum in Hamburg.
a. somebody
Die Begeisterung für Musik brachte Anton Corbijn zur Fotografie. Seit seiner Jugend besucht er Konzerte und versuchte, die Musiker auf der Bühne und Backstage abzulichten. Wurde ein Film nicht voll, schoss er auch außerhalb der Clubs Bilder auf der Straße, um den Film entwickeln lassen zu können. So entdeckte Corbijn auch die Faszination für Fotografie jenseits der Musikszene.
Als der Fotograf für eine Ausstellung in seinen Geburtsort Strijen eingeladen wurde, ein kleines Dorf in der Nähe von Rotterdam, nutzte er die Gelegenheit für ein Fotografieprojekt. In der Serie „a. somebody“ (2001/02) fotografiert sich Anton Corbijn in der Umgebung, die ihn als Kind eingeengt hatte. Der Fotograf schlüpfte dabei in Verkleidungen berühmter Musiker, die alle zu diesem Zeitpunkt bereits verstorben waren. Die internationalen Idole aus Corbijns Jugend, die eine Art Gegenentwurf zu der dörflichen Spießbürgerlichkeit darstellten, wurden nun zu Bewohnern des niederländischen Dorfes. Beeindruckend an den Bildern ist, dass man aus der Distanz sofort die Künstler erkennt, die Corbijn verkörpert: Jimi Hendrix wartet an der Straße, Freddie Mercury steht vor einem Friseursalon, John Lennon grüßt im Park und sogar Janis Joplin strahlt im tristen dörflichen Grau.
Cemetries
Im ersten Stockwerk der Ausstellung zeigt das Bucerius Kunst Forum neben der Serie „a. somebody“ auch Werke von Anton Corbijn, die bisher noch nie zu sehen waren: eine Reihe von Fotografien, die auf verschiedenen Friedhöfen in Norditalien, Österreich und Südfrankreich entstanden sind. Ebenso wie bei „a. somebody“ geht es hier um eine persönliche Suche nach Bedeutung und um die Auseinandersetzung mit dem Leben und dem Tod. Auf diese Suche spielt auch der Titel der Ausstellung „The Living and the Dead“ an.
In den frühen 1980er Jahren, zu einer Zeit als Anton Corbijn gerade auf dem Weg zum internationalen Durchbruch war, entstand die Serie „Cemetries“ (1982/83). Bezeichnend ist, dass hier keine Menschen zu sehen sind – und trotzdem menschliche Figuren im Mittelpunkt stehen. Corbijn gelingt es, die Steinstatuen wie posierende Akteure wirken zu lassen. Einige der Bilder erinnern an seine Bandfotos, mit denen er später in den 80er und 90er Jahren den visuellen Stil vieler Musiker prägte.
The Living and the Dead
Die Lebenden und die Toten finden sich auch auf den 77 Musikerportraits, die meist als Auftragsarbeiten entstanden, etwa als Albumcover oder für Musikzeitschriften. Die Ausstellung im Bucerius Kunst Forum mischt hier verschiedene Serien von Anton Corbijn aus verschiedenen Schaffensphasen.
Corbijn selbst sieht sich übrigens nicht als „Musikfotograf“, sondern vielmehr als Portraitfotograf, der eben häufig Musiker fotografiert. „The Living and the Dead“ zeigt Bilder, die ab 1976 entstanden sind, teils noch in Amsterdam, z.B. von Elvis Costello oder Johnny Rotten. 1979 ging Corbijn dann nach London, wo u.a. sein ikonisches Bild von Joy Division auf der U-Bahn-Rolltreppe entstand. Bis 1985 fotografierte Corbijn hier auch für den New Musical Express (NME) und prägte den visuellen Stil des Magazins. Im Kontrast dazu stehen die Bilder der Serie „Star Trak“ (1989-99), die Anton Corbijn in seiner Zeit in Kalifornien schuf. Neben Musikern portraitierte er nun auch Schauspieler, Models und Regisseure – teils auch eigeninitiativ, ohne Auftrag.
Ende der 1990er entstand die Serie „33 Still Lives“, die sich mit der Frage nach Ruhm auseinandersetzt. Die Idee dahinter sind Paparazzi-Aufnahmen, allerdings mit einem Unterschied: Während Pararazzi die Stars meist in ungestellten Situationen „erwischen“, sind die Fotografien von Anton Cotbijn gestellt. Er selbst beschreibt die Bilder als eine Lüge, die als Wahrheit verpackt wird. Der Eindruck der Authentizität wird bei Corbijn durch eine aufwändige Inszenierung hergestellt – inspiriert durch die Bildsprache der Boulevardmedien. Parallel zu diesen Aufnahmen entstand die Serie „Inwards and Onwards“ (1996-2011). Hier setzt Corbijn wieder seine ursprüngliche Portraitfotografie fort. Auch wenn der Fotograf nun auch Künstler, Sportler und Politiker fotografierte, wurden für die Ausstellung im Bucerius Kunst Forum wieder nur Bilder von Musikern ausgewählt – ebenso wie schon bei der früheren Serie „Star Trak“. Dass Corbijn hier längst nicht nur auf Rockmusik festgelegt ist, zeigen Portraits von PJ Harvey oder Tricky. Eine Art Best-of bildet schließlich die Serie „1-2-3-4“ (1977-2013) mit Portraits von Joe Cocker (1983) bis hin zu Tom Waits (2004).
Anton Corbijn. The Living and the Dead
Bucerius Kunst Forum Hamburg
07.06.2018 – 06.01.2019
musermeku dankt dem Bucerius Kunst Forum für die kostenfreie Überlassung der Publikation als Rezensions-Exemplar.
Bilder: Angelika Schoder – Bucerius Kunst Forum, Hamburg 2018
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Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.
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