[Pressereise] Das Projekt ist ambitioniert: Nicht einfach nur ein neues Museum sollte zwischen Frankfurter Römer und Mainufer entstehen – die Rede ist von einem ganzen Museumsquartier. Das Historische Museum Frankfurt versucht mittels einer anspruchsvollen Museumsarchitektur eine Wandlung zu vollziehen, von einem klassischen historischen Museum, hin zu einem konzeptionell ganz anders aufgestellten Stadtmuseum für Frankfurt. Bei dem Neubau des Museumskomplexes geht es dabei um mehr als eine bloße Vergrößerung der Ausstellungsfläche, die immerhin von bisher 3.200 auf 6.000 qm erweitert wird. Vielmehr soll es darum gehen, eine zeitgemäße Form für die museale Darstellung historischer Hintergründe zu finden und ein Forum entstehen zu lassen, in dem aktuelle Fragestellungen diskutiert werden können, welche die Frankfurter Region bewegen.
Ambitionierte Pläne für den Römerberg
Neben einer besseren Präsentation der etwa 630.000 Objekte umfassenden Sammlung aus zwei Jahrtausenden Frankfurter Geschichte, sieht die Museumsarchitektur für das neue Museumsquartier auch Räume für Wechselausstellungen vor, ein „Stadtlabor“ sowie ein Auditorium und zwei Foyers für diverse Veranstaltungen.
Unter dem Museumsplatz, im sogenannten Hofgeschoss, sollen das Frankfurt Modell und die „Frankfurt Story“ zu sehen sein. Das mechanische Stadtmodell präsentiert acht Frankfurt-Klischees und wird in einer Art großer „Schneekugel“ schon vom Museumsplatz aus sichtbar sein. Im Kellerraum wird sich ein Roboter befinden, der die verschiedenen Stadtmodelle jeweils auswechseln kann. Daneben soll die „Frankfurt Story“ eine Zeitreise durch die Stadtgeschichte ermöglichen.
Für das Ausstellungshaus des Historischen Museum Frankfurt ist auf Hofebene eine Fläche von 1.000 qm für Wechselausstellungen geplant; die darüber liegenden beiden Geschosse (ebenfalls mit je 1.000 qm Fläche) sind für die historische Dauerausstellung vorgesehen. Unter dem Titel „Frankfurt Einst?“ sollen hier vier Themen behandelt werden: Im ersten Abschnitt ist unter dem Motto „Stadtbilder“ geplant, 1.000 Jahre Stadtgeschichte anhand von 100 Objekten zu erzählen. Im Anschluss soll die „Identität der Stadt“ dargestellt werden, wie es seitens des Museums heißt.
Der Themenbereich „Bürgerstadt“ wird dazu 200 Porträts von Frankfurterinnen und Frankfurtern enthalten, wobei ihre Zünfte, Clubs und Bürgerinitiativen vorgestellt werden. Es folgt das Thema „Geldstadt“; hier soll es um die Entwicklung von der alten Messestadt bis hin zur modernen Finanzmetropole gehen. Der Abschnitt „Weltstadt“ soll sich schließlich der Stadt Frankfurt als prägendem Ort der deutschen Geschichte widmen, von den Kaiserwahlen bis hin zur Nachkriegszeit.
Im Dachgeschoss wird der Themenkomplex „Frankfurt Jetzt!“ geplant. Hier soll das sogenannte „Stadtlabor“ seinen Platz finden, ein Ort für Wechselausstellungen, bei dem auf die Partizipation von Frankfurterinnen und Frankfurtern gesetzt werden soll. Die interaktiv konzipierte Ausstellung soll sich mit der Gegenwart und Zukunft der Stadt auseinandersetzen und richtet sich daher in erster Linie an ein regionales Publikum.
Die Museumsarchitektur als Zeichen eines neuen Konzepts
Nach mehrjähriger Bauzeit steht das Museumsquartier vor seiner Vollendung. Im Interview sprach jetzt der Direktor des Historischen Museums Frankfurt, Jan Gerchow, mit uns über die Entstehung der Museumsarchitektur und das Konzept, das dahinter steht:
Dr. Gerchow, das Historische Museum Frankfurt befindet sich im Wandel. Es geht dabei um mehr als nur ein neues Ausstellungshaus, denn geplant ist ein Forum für verschiedene Themen der Stadtgesellschaft. Was genau hat es mit dem Forum-Konzept auf sich?
Jan Gerchow: „Das hmf wandelt sich vom Fachmuseum für Geschichte zum modernen Stadtmuseum. Dies wird sichtbar zum einen in einem neuen Museumsbau, zum anderen in einem neuen Konzept für das Ausstellen und Vermitteln der Inhalte, mehr noch für die Definition der relevanten Fragestellungen. In den Jahren, seit die Dauerausstellung des Historischen Museums eingerichtet wurde, haben sich in der Fachdisziplin der Museologie viele Erkenntnisse durchgesetzt, die aktives Handeln erforderten. Dazu gehören beispielsweise die Präsentation von Objekten in erweiterten Kontexten, die Vermittlung mit Hilfe von handlungsorientierten Angeboten oder die Einrichtung eines Museums-Cafés. Diesen Anforderungen war man soweit es Geld und Raum erlaubten, immer nachgekommen.
Durch Angebote wie die ‚Bibliothek der Alten‘, ein offenes Archiv, welches die Künstlerin Sigrid Sigurdsson im Jahr 2000 im Rahmen einer Ausstellung entwickelt hat und das seitdem im Historischen Museum Frankfurt fortgeführt wird, bemerkte man jedoch etwas anderes. Die Frankfurterinnen und Frankfurter, die hier Fotos, Manuskripte, Audio- und Hörträger in Kassetten hinterlassen und so bis 2105 einen bunten Querschnitt aus dem Leben von drei Generationen bewahren, machten deutlich, wie stark sich die Stadtgesellschaf diversifiziert. Parallel entwickelte sich das ‚Stadtlabor‘, zunächst ein Ausstellungskonzept, bei dem die Stadtgesellschaft zur Partizipation eingeladen wird und das mit zunehmend mehr Expertise zum detailliert definierten Ausstellungsformat wird.
Inzwischen haben fünf ‚Stadtlabor unterwegs‘-Ausstellungen in verschiedenen Stadtteilen mit Hunderten von Teilnehmerinnen und Teilnehmern stattgefunden. Das ‚Stadtlabor‘ wird einen eigenen Bereich im neuen Ausstellungshaus erhalten und wir werden weiterhin die hochdiverse Stadtgesellschaft in den Prozess der Präsentationen mit einbeziehen. Mit dem, was Sie ‚Forum-Konzept‘ nennen, verbinden wir das Ziel, ein Museum für alle Frankfurterinnen und Frankfurter zu sein.
Bis 2017 wird das Museumsquartier rund um das Historische Museum Frankfurt entstehen. Warum war es wichtig, die Museumsarchitektur offen und leicht zugänglich zu gestalten?
Jan Gerchow: „Das neue Museumsquartier wurde von den namhaften Architekten Lederer Ragnasdóttir Oei im Zentrum der Altstadt entworfen. Dabei hatten die Architekten den Vorgängerbau, ein Gebäude von 1972, nach den damals geltenden Regeln der Moderne und auch die jüngsten Diskussionen und Planungen für die Rekonstruktion der Altstadt im Sinn. Altstadtrekonstruktionen sind an sich schon ein Akt der Erinnerung. Dazu sollte aus der Sicht der Architekten der Museumsbau Position beziehen. Dies tut er auch.
Steht man auf dem neuen Platz und schaut dorthin, wo sich der neue Platz zur Stadt hin öffnet, sieht man die Fassade von Haus Wertheim, dem einzigen Fachwerkhaus, das die Zerstörung der Altstadt im Zweiten Weltkrieg unbeschadet überstanden hat. Schaut man nach Osten, fällt der Blick auf den Saalhof, den Ort, den Könige bewohnten zu einer Zeit, als der Hof noch im Land herumreiste und sozusagen mobile Residenzen errichtet wurden. Dort, wo der König seine Bleibe errichtete, war der Herrschaftssitz. Dazu gehörte auch Frankfurt.
Die Architekten haben sich aber nicht nur Gedanken darüber gemacht, dass es gut ist, den Platz zu diesen für die Frankfurter Stadtgeschichte bedeutenden Orten zu öffnen, sondern auch darüber, wie sich die beiden Neubauten südlich und nördlich des neuen öffentlichen Raumes dazu in eine aussagekräftige Beziehung setzen lassen. Dies haben sie getan, indem der Eingangsbau den im Krieg verloren gegangenen Nordflügel des Bernusbaus aufgreift. Das deutlich größere Ausstellungshaus nimmt mit dem Doppelgiebel und der Ausrichtung auf der Nord-Südachse Bezug zu einem Gebäude aus der Frühzeit der Frankfurter Altstadt. Es erinnert an den vor dem Krieg hier stehenden Marstall oder an ein großes Speichergebäude.
Im übertragenen Sinn schaffen die Architekten einen Speicher für die Erinnerung an den Vorgängerbau und auch einen Erinnerungsspeicher, ein Haus, in dem Erinnerungen – dies ist Geschichte nämlich – gespeichert werden. Hier ist es wichtig sich klarzumachen, dass sich der Neubau durch seine Dimensionen von dem historischen Vorgängerbau unterscheidet. Der Neubau ist viel größer, als das Gebäude, auf welches er Bezug nimmt. Im Innern des Ausstellungshauses überspannen die Deckenträger die Breite von 20 Metern. Sie sind an den Decken der Geschosse sichtbar und verleihen den Räumen einen neutralen, modernen Charakter.“
Wie wird durch verwendete Materialien gewährleistet, dass sich die Museumsarchitektur harmonisch in den Stadtkern Frankfurts einfügt?
Jan Gerchow: „Die Fassaden der Neubauten sind mit rotem Sandstein verkleidet. Dieses Material wirkt warm im Vergleich zum Sichtbeton des Vorgängerbaus. Sandstein ist in Frankfurt über Jahrhunderte beim Bau von öffentlichen Bauten und im Kirchenbau verwendet worden. Daraus wurden Skulpturen und Bauteile wie Pfleiler, Architrave und Säulen hergestellt. Das Material an sich hat also eine historische Dimension. So wie der Sandstein am Ausstellungshaus verwendet wird, versucht er aber nicht Alter vorzutäuschen.
Die gleichmäßigen Rechteckquader und Fugen verraten statt dessen, dass es zeitgenössisches Handwerk ist. Dadurch entsteht eine interessante Spannung. Wir nutzen die Südwand zum Platz außerdem als Ausstellungsort. Sie ist durch Pfeiler in Nischen unterteilt. In den Nischen bringen wir originale Bauskulptur unter: Spolien. Sie stammen aus ganz unterschiedlichen historischen Kontexten – alle mit Frankfurt-Bezug. Die Fassade des Eingangsbaus steht dazu in Kontrast. Sie erhält einen Rhythmus durch ein Rautenmuster.“
Die Museumsarchitektur bildet im Bezug zum historischen Saalhof aus der Stauferzeit einen deutlichen Kontrast. Welche Bedeutung kommt der strukturellen Konzeption des Neubaus zu?
Jan Gerchow: „Der Neubau schafft im Verhältnis zum Baudenkmal Saalhof mit seinen fünf Bauten aus sieben Jahrhunderten und zum umgebenden Altstadt-Quartier viele Verbesserungen: Er ergänzt den nach dem Krieg als Torso wieder aufgebauten Saalhof durch den neuen Eingangsbau: Er steht an der Stelle, wo vor dem Krieg der Nordflügel des barocken Bernuspalais‘ stand, und er setzt das Dach und die Form bzw. Kubatur des Bernusbaus nahtlos fort.
Der neue Platz, der zwischen Eingangsbau und Ausstellungshaus entsteht, nimmt sowohl das Haus Wertheim im Westen sowie die staufische Pfalz im Osten in den Blick. Gleichzeitig greift der Platz die starke Durchwegung in West-Ost-Richtung der Altstadt wieder auf und rekonstruiert hier den historischen Verlauf der Saalgasse. Das Ausstellungshaus schafft darüber hinaus vom Römerberg her gesehen einen südlichen Abschluss des ältesten Stadtplatzes: Nun steht die Nikolaikirche wieder auf dem Platz und muss nicht mehr die südliche Platzbegrenzung sein.
Der Saalhof selbst wurde im ersten Bauabschnitt der großen Um- und Neubaumaßnahme des Museums von 2008 bis 2012 unter Gesichtspunkten der Denkmalpflege renoviert und mit neuen Ausstellungen eingerichtet. Dabei spielte die Architektur der Gebäude des Saalhofs eine wichtige Rolle. Ihre Entstehungszeit wurde für die Besucher nachvollziehbar gemacht, indem die Stellen im Haus, an denen die Gebäude aneinander grenzen, eine Markierung erhielten. So sind zum Beispiel die verlorenen Wände des Stauferturms, die für den Anbau des Burnitzbaus niedergelegt wurden, durch Pfeiler markiert. So können sich die Besucher vorstellen, wo die Wand verlief.
Die Wände im Rententurm und im Kellergeschoss des Stauferbaus sind freigelegt worden. So können die Besucher anhand der unterschiedlichen Formen und Größen der Steine sehen, dass zu unterschiedlichen Zeiten an den Gemäuern gebaut wurde. Durch die Offenlegung wird man auf die Architektur aufmerksam und kann die Gebäudegrenzen und unterschiedlichen Baustile auch in den anderen Teilen des Architekturensembles wahrnehmen. Auf eigens für die Informationen zur Architektur gestalteten Tafeln können die Museumsbesucher bei einem Rundgang mehr über die Epochenzuordnungen und Stilmerkmale erfahren. Zudem ist geplant, zur Architektur eine Audioguide-Führung anzubieten, wenn das Museumsquartier fertig ist.“
Vielen Dank für das Interview.
Ausblick zum Museum
Die Museumsarchitektur des Historischen Museum Frankfurt wird am 20. und 21. Mai 2017 der Öffentlichkeit vorgestellt und zwar in einem Takeover, einer „freundlichen Übernahme“. Ein Wochenende lang kann der Komplex kostenlos besucht werden, wobei die Gelegenheit besteht, die Räume des neuen Ausstellungshauses zu besichtigen. Begleitet wird das Programm mit dem Hashtag #openHMF17.
Abgesehen von der Museumsarchitektur, welche die Frankfurter nach und nach in ihrer Entwicklung mitverfolgen können, konnten bisher auch die ersten Museumsinhalte ihre Schatten voraus werfen. Das Ausstellungsformat „Stadtlabor unterwegs“ hatte es sich von 2011 bis 2015 zum Ziel gesetzt, jedes Jahr an einer anderen Station im Stadtgebiet die Facetten, Themen und Eigenheiten Frankfurts in Ausstellungen sichtbar zu machen.
Erarbeitet wurden die Inhalte dabei gemeinsam mit Vereinen und Bürgerinitiativen – ein Konzept, das auch in der Ausstellung „Frankfurt Jetzt!“ im neuen Historischen Museum Frankfurt umgesetzt werden soll. Besonders dieser partizipative Aspekt des neuen Museumskonzepts ist es, der neugierig macht. Ob es dem Museum dann schließlich auch dauerhaft gelingen wird, die Frankfurter dazu zu animieren, sich aktiv in die Ausstellung einzubringen und auch langfristig das Museum mitzugestalten, wird sich zeigen.
musermeku dankt dem Historischen Museum Frankfurt für die Einladung zum Besuch des Museums und für die Übernahme der Kosten der Reise.
Header-Bild: Angelika Schoder – Historisches Museum Frankfurt, 2019
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Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.
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