Turnhallen-Mode und Fitness-Chic: Sports / No Sports im MKG Hamburg

Das Museum für Kunst und Gewerbe – MKG Hamburg zeigt in der Ausstellung „Sports / No Sports“ die Wechselwirkung von Mode und Sportkleidung.

Das Museum für Kunst und Gewerbe - MKG Hamburg zeigt in der Ausstellung "Sports / No Sports" die Wechselwirkung von Mode und Sportkleidung.

[Ausstellung] Im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg darf man für die Ausstellung „Sports / No Sports“ eine Turnhalle ausnahmsweise mit Straßenschuhen betreten. Auf dem Laminat-Boden der zentral im Museumsgebäude gelegenen Halle sind spielfeldartig Felder abgeklebt. Weiße Markierungen trennen Themenbereiche der Ausstellung voneinander, gelbe Markierungen geben als Objektbeschriftungen Auskunft über die Exponate. Turnbänke, Matten und Kästen dienen als Podeste für Ausstellungsstücke, statt Gardinen hängen Kletterseile vor den Fenstern. Wo sonst könnte ein Überblick über fast 240 Jahre Sport-Mode besser präsentiert werden?


Willkommen in der Turnhalle

Tatsächlich handelt es sich bei dem Ausstellungsraum, in dem „Sports / No Sports“ gezeigt wird, um eine historische Sporthalle. Das MKG Hamburg wurde 1877 am Steintorplatz nämich als Kombination aus Museum und Schule errichtet – inklusive Sportmöglichkeit. Knapp 30 Jahre lang nutzen verschiedene Schulklassen die zentrale Halle im Gebäude für Turnübungen. Nach dem Auszug der Schulen (u.a. die Realschule des Johanneums und die Realschule St. Georg) erfolgte ein Umbau des Raumes für Ausstellungszwecke; 1952 wurde dieser sogar noch durch eine Zwischendecke halbiert. Heute steht der Raum wieder in seiner ursprünglichen Anlage zur Verfügung und die Ausstellung „Sports / No Sports“ knüpft mit ihren vier Schwerpunkten an die historischen Hintergründe der ehemaligen Turnhalle an.


Vor dem Sport

Wer sich im 18. und 19. Jahrhundert sportlich betätigen wollte, hatte einige Einschränkungen hinzunehmen. Für den Adel und das Bürgertum galten strenge Kleidungsvorschriften und von Bewegungsfreiheit konnten insbesondere Frauen nur träumen. Korsetts formten Oberkörper und Taille; Reifröcke simulierten ausladende Hüften. Eine Sanduhr-Silhouette galt als Ideal. Zusätzlich machten enorme Rockweiten und Schleppen den Trägerinnen, im wahrsten Sinne des Wortes, das Leben schwer.

Ohnehin galt für Frauen eher das Motto „no sports“, denn es gab nur wenige Sportarten, die ihnen gesellschaftlich überhaupt zugebilligt wurden. In niedrigeren Gesellschaftsschichten war zudem Sport überhaupt kein Thema, denn wer den ganzen Tag körperlich hart arbeitete, brauchte zum Ausgleich sicher keine sportliche Betätigung. Erst als im Zuge der Industrialisierung immer mehr Menschen in Fabriken arbeiteten und dadurch eine gewisse Bewegungsarmut herrschte, kamen „Übungen zur Ertüchtigung des Körpers“ wortwörtlich in Mode. Auch in Schulen wurde das Fach „Leibeserziehung“ eingeführt, wobei auch hier zunächst Kleidungsvorschriften galten. So wurde z.B. erst 1905 in Preußen das Korsett beim Schulturnen abgeschafft.


Sport und Mode

Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte sich langsam eine Mode, die man gewissermaßen als Sportbekleidung bezeichnen könnte – zumindest im Vergleich zur Gesellschaftsmode, die man bis dahin tragen musste. Die Kleidung wurde körperbetonter und damit auch funktionaler – dies zeigt die Ausstellung anhand von Reitmode, Tennismode, Turnbekleidung und Bademode.

Im 20. Jahrhundert setze schließlich ein regelrechter Trend zur „Versportlichung“ in westlichen Ländern ein, parallel zu der Erfindung moderner Sportarten. Entwicklungen in der Turn- und Sportkleidung, die eigentlich für den Leistungssport gedacht waren, fanden sich zeitverzögert auch in der Bekleidung für den Freizeitsport wieder. Hier spielt besonders der Trend zur Selbstoptimierung eine Rolle, der z.B. auch die Technologie für Self-Tracking immer mehr zum Mode-Accessoire avancieren ließ.


Mehr Mode als Sport

Dass das Tragen von Sportswear nicht zwangsläufig mit Sport in Zusammenhang stehen muss, beleuchtet dieser Ausstellungsabschnitt. Designer schaffen Hybridformen zwischen Performance-Kleidung aus Funktionsmaterialien, aus Streetwear für den Alltag und High Fashion. Im Vordergrund steht ein sportiver Look, der seine Attraktivität vor allem aus dem Image zieht, das mit Sport assoziiert wird. Ein Beispiel hierfür ist der Trainingsanzug, der als Kleidungsstück in verschiedenen Variationen in der Ausstellung an Puppen präsentiert wird, die an Schaukeln von der Decke hängen. Auch wenn Designer Karl Lagerfeld in einer ZDF-Talkshow 2012 betonte: „Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.“, hat das „Un-Kleidungsstück“ längst Laufstege und Red Carpet Events erobert.

Es gibt kaum noch gesellschaftliche Bereiche, in denen ein Dresscode besteht, der durch Schicht, Anlass oder Tageszeit beeinflusst wird. Stattdessen ist sportliche Kleidung oder sogar Sportmode fast überall verbreitet und alltagsgängig, etwa das 1926 von Tennisstar René Lacoste entworfene Polohemd. Der trainierte Körper wurde zum Statussymbol, betont und in Szene gesetzt durch die entsprechende Mode. Insbesondere amerikanische Trendsportarten wie Aerobic, Surfen und Skaten beeinflussten die Alltagskultur und wirkten sich stilbildend aus, bis hin zu führenden Modemarken. Heute setzen Designer immer häufiger auf Hightech-Materialien und greifen Trends aus dem Sportswear-Bereich auf.


Nach dem Sport

In diesem Abschnitt schließt sich wieder der Kreis zum Beginn der Ausstellung. „Nach dem Sport“ zeigt ebenso absurde Kreationen wie „Vor dem Sport“ – zumindest was die Wahrscheinlichkeit angeht, in den Kleidungsstücken tatsächlich Sport treiben zu können. Statt form follows function geht es hier rein um das Experiment mit Materialien und Formen.

Die Kreationen, obwohl sie aus Funktionsmaterialien angefertigt wurden, formen ebenso künstliche Silhouetten wie einst Korsetts oder Reifröcke. Statt einer Wespentaille und ausladenden Hüften geht es um Irritation und ein neues Körperbild, wie etwa bei Yohji Yamamotos Cocktailkleid mit asymmetrischem Reifrock aus der Herbst/Winter-Kollektion von 1990.


Sports / No Sports

Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
02.09.2016 – 20.08.2017


Header-Bild: Detail aus: Adriana Johanna Pauw van Wieldrecht, Henry Pauw van Wieldrecht (1888-1889) – Rijksmuseum, RP-F-2007-361-2Public Domain


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Angelika Schoder

Über die Autorin

Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.

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